Autorenbild Gitte HärterMotivation und Selbstmanagement

Vorschnell Partei ergreifen

Ein Beitrag von Gitte Härter

Die Kollegin schimpft über die Ungerechtigkeit des Chefs - und schon schlagen Sie sich solidarisch auf ihre Seite ... ein Freund erzählt von einem Vorfall mit einem Nachbarn - und natürlich halten Sie zu Ihrem Freund ... der Schwager fühlt sich gemobbt - ist doch glasklar, dass der nette Schwager von den Kollegen fies und ungerecht behandelt wird ... in einem von Ihnen häufig besuchten Internetforum erzählt jemand von Unstimmigkeiten mit der Familie - und natürlich spenden Sie Trost und schlagen sich auf dessen Seite: immerhin ist es jemand aus dem Forenkreis - und da muss man ja automatisch annehmen, dass die Person im Recht ist ...

... muss man?

Totale Neutralität gibt es nicht

Natürlich ist niemand völlig neutral (das muss auch gar nicht sein). Sympathie und engere Beziehungen verleiten schnell dazu, dem anderen beizustehen.

Doch besonders hilfreich ist das nicht - für keinen der Beteiligten. Denn Ihrem Bekannten ist nicht damit geholfen, wenn Sie unreflektiert ins selbe Horn blasen und möglicherweise sogar so weit gehen, "den Feind" zu verteufeln. Und Ihnen selbst bringt es auch nichts, wenn Sie in solchen Fällen vorschnell urteilen, ohne sich dessen bewusst zu sein, dass Sie zunächst mal eine einseitige Meinung - vermutlich mit wenig Details - präsentiert bekommen haben.

Es lohnt sich auch, einmal darauf zu achten, wie man selbst mit solchen Situationen umgeht. Fragen Sie sich:

Wenn Sie sich bei anderen beklagen, möchten Sie


  • Ihren Gedanken und Gefühlen freien Lauf lassen und die Sache einfach nur jemandem erzählen?

  • Zuspruch bekommen und hören, dass Sie Recht haben (auch wenn dem möglicherweise gar nicht so ist)?

  • echten Rat und Anregungen, auch wenn das vielleicht bedeutet, dass Sie auch über sich selbst sprechen müssen oder das Feedback des anderen sogar ergibt, dass Sie sich möglicherweise selbst nicht so vorteilhaft verhalten haben?

Wenn sich andere bei Ihnen über jemanden auslassen,


  • stimmen Sie dann automatisch zu, weil Sie das "Zum-anderen-Halten" generell wichtig finden (auch wenn es sachlich vielleicht nicht immer angebracht ist)?

  • bemühen Sie sich erst mal, einen genaueren Überblick zu bekommen und Details zu erfahren, damit Sie sich eine eigene Meinung bilden und auf dieser Basis dann auch konstruktive Vorschläge geben können?

  • würden Sie dann am liebsten gar nichts sagen, fühlen sich aber verpflichtet (z. B. da Sie sich "gezwungen" fühlen, der klagenden Person Recht zu geben, oder weil Sie sich nicht dazu in der Lage sehen, zu sagen, dass Sie sich keine Meinung bilden können oder lieber raushalten möchten?

Derlei Fragen sind wichtig und der beste Weg, um nicht nur Ihr eigenes Verhalten unter die Lupe zu nehmen, sondern sich auch in die Situation anderer besser hineinzuversetzen.


Unreflektiert Partei ergreifen kann Ihnen auch schaden

Obwohl es einer verärgerten oder traurigen Person sicherlich gut tut, wenn Sie sich automatisch auf ihre Seite schlagen, so kann es Ihrem Ansehen durchaus schaden, wenn Sie das tun.

Das extremste Beispiel ist, wenn man in die Schimpftirade gegen "den Feind" mit einstimmt. Angenommen Ihr Kollege motzt über den Chef und Sie machen spontan mit. Auch wenn der Kollege in dem Moment vielleicht ganz froh über den Zuspruch ist und sich dadurch bestätigt fühlt, so stellt er sich später möglicherweise die Frage: Wie reden Sie denn über ihn, wenn er nicht im Raum ist?

Und: Wie werden Sie in sich ähnlichen Situationen höchstwahrscheinlich verhalten: Einfach sofort eine negative Einschätzung abgeben - OHNE sich erstmal ein genaueres Bild von der Sache zu machen? Kein schöner Gedanke, der Beziehungen bereits trüben kann bevor so eine Situation eintritt.

Das Paradoxe ist also, dass man zwar die besten Absichten hat und etwas Gutes tun möchte, wenn man Partei für den Kollegen ergreift - gleichzeitig aber auch die eigene Integrität in Frage stellt.


Soll man sich dann immer raushalten?

Keineswegs. Gefragt ist jedoch die "Qualität" Ihres Zuspruchs und Ihrer Meinung. So können Sie durchaus tröstende oder beschwichtigende Worte für den anderen finden, ohne dass Sie automatisch der anderen Person den Schwarzen Peter zuschieben.

Auch können Sie jederzeit anbieten, Ihre Einschätzung oder Ihren Rat zu geben - allerdings erst dann, wenn Sie mehr und Konkretes über die Sache erfahren haben. Die Aufforderung "Erzähl doch mal genauer ..." ist immer gut, denn damit geben Sie Ihrem Gegenüber auch immer die Möglichkeit, sich etwas von der Seele zu reden.

In meinem persönlichen und beruflichen Alltag erlebe ich es immer wieder, dass sich alleine dadurch der Nebel schon lichtet: Man konzentriert sich nicht nur auf die hochkochenden Emotionen, sondern alle Beteiligten bekommen durch das Erzählen von Details einen sachlicheren Zugang zum Ganzen - so kann man auch selbst viel objektiver rangehen und konstruktiver nach Lösungen suchen.



Nächsten Tipp lesen:
» Abstand gewinnen und so (wieder) klarer sehen

Über die Autorin:


(c) Gitte Härter
eMail: objektiv@selbstmarketing.de

Gitte Härter war selbst Führungskraft und viele Jahre Coach und Trainerin. Außerdem hat sie über zwei Dutzend Ratgeber veröffentlicht: www.schreibnudel.de .

Gemeinsam mit Christine Öttl hat sie unter anderem zahlreiche Bewerbungsratgeber veröffentlicht.


Link zum Buch:


Schriftliche Bewerbung: Mit Profil zum Erfolg. Anschreiben perfekt formuliert. Vom Kurz-Profil bis zur Online-Bewerbung. Mit Bewerbungsmappen-Check


Zurück zur Übersicht